Bundesgericht: Auslegung einer Baubeschränkungsdienstbarkeit

Kurzzusammenfassung: 

Im zur Publikation vorgesehenen Urteil BGer 5A_85/2024 vom 8. November 2024 hat sich das Bundesgericht mit der Frage auseinandergesetzt, nach welchen Kriterien ein Grundbucheintrag einer Baubeschränkungsdienstbarkeit auszulegen ist, wenn sich dessen Inhalt und Zweck weder eindeutig aus dem Stichwort noch aus dem Erwerbsgrund (Dienstbarkeitsvertrag) ergibt. Das Bundesgericht hielt dabei fest, dass bei der Auslegung eines Grundbucheintrags – anders als bei der klassischen Vertragsauslegung – der allgemeine Sprachgebrauch im Errichtungszeitpunkt in erster Linie relevant sei. Dabei könne nur hilfsweise auf das öffentlich-rechtliche, lokale Baureglement im Errichtungszeitpunkt abgestellt werden. Bei der Auslegung des Grundbucheintrags «eingeschossig» sei folglich auf den optischen Eindruck der zu erstellenden Baute abzustellen. Im Ergebnis entschied das Bundesgericht, dass das geplante Bauprojekt daher von der Optik her augenfällig drei Geschosse aufweise. Dies liesse sich mit der Baubeschränkung, wie sie aus dem Grundbuch hervorgehe, nicht ansatzweise vereinbaren. Das Bundesgericht hiess sodann die Beschwerde gut und verbot der Beschwerdegegnerin A unter Strafandrohung, auf dem Grundstück AA das bewilligte Bauprojekt zu realisieren.

Kommentar:

Dieses Urteil zeigt, dass sich  Baubeschränkungsdienstbarkeiten erheblich auf die Überbauungsmöglichkeiten eines Grundstücks auswirken können. Vor dem Erwerb eines Grundstücks, auf dem ein Bauprojekt entwickelt werden soll, sind solche Dienstbarkeiten deshalb stets genau zu prüfen.

Sachverhalt und Erwägungen:

A und B sind Eigentümer der benachbarten Grundstücken AA und BB im Kanton Nidwalden. Zulasten des Grundstücks AA und zu Gunsten des Grundstücks BB ist eine am 27. Oktober 1971 begründete Grunddienstbarkeit mit dem Stichwort «Baubeschränkung (eingeschossig)» im Grundbuch eingetragen.

A plante auf ihrem Grundstück AA  einen Neubau eines Doppeleinfamilienhauses mit drei Geschossen. Dafür lag die Baubewilligung vor. Betreffend die privatrechtliche Grunddienstbarkeit verwiesen die Behörden auf die Zivilgerichte.

Mit Klage vom 6. Januar 2022 verlangte B, A sei unter Strafandrohung zu verbieten, den geplanten Neubau zu errichten. Das erstinstanzliche Kantonsgericht Nidwalden hiess die Klage gut, während das Obergericht des Kantons Nidwalden die gegen das erstinstanzliche Urteil erhobene Berufung guthiess und die Klage abwies. Gegen dieses Urteil erhob B beim Bundesgericht Beschwerde.

Das Bundesgericht hält in seinen lehrbuchartigen Erwägungen fest, dass für die Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit in erster Linie der Eintrag im Grundbuch massgebend sei (Art. 738 Abs. 1 ZGB). Soweit jedoch der Wortlaut unklar sei, könne im Rahmen des Eintrags auf den Dienstbarkeitsvertrag (Erwerbsgrund) zurückgegriffen werden (Art. 738 Abs. 2 ZGB). Wenn sich der Zweck und Inhalt der Dienstbarkeit dadurch nicht feststellen lasse, müssten diese mittels einer objektivierten Auslegung anhand der damaligen, sich vernünftigerweise ergebenden Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks ermittelt werden.

Vor den Vorinstanzen war umstritten, ob die Baubeschränkung als reine Bauhöhenbeschränkung verstanden werden könnte. Dies verneinte das Bundesgericht mit der Begründung, dass sich aus dem Grundbucheintrag (Stichwort) keine Bauhöhenbeschränkung ergebe. Vielmehr lasse sich dem klaren Wortlaut des Grundbucheintrages entnehmen, dass auf dem belasteten Grundstück nur eingeschossig gebaut werden dürfe. Entsprechend sei zentral, was aufgrund des Grundbucheintrages unter «Eingeschossigkeit» zu verstehen sei. Da ein Rückgriff auf den Dienstbarkeitsvertrag keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu bringen vermöge, richte sich die Auslegung der «Eingeschossigkeit» jedoch nicht nach der typischen Vertragsauslegung, sondern nach dem allgemeinen Sprachgebrauch im Errichtungszeitpunkt. Der öffentliche Glaube des Grundbuches richte sich an das Publikum, namentlich an den Rechtserwerber des dienstbarkeitsbelasteten und -berechtigten Grundstücks. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sei unter «Geschoss» der Gebäudeteil im Sinn des umbauten Gesamtraumes zu verstehen, der alle auf gleicher Höhe liegenden einzelnen Räume umfasse. Der Begriff «Vollgeschoss», der zur baurechtlichen Fachsprache gehöre und unter dem in der Schweiz alle Geschosse von Gebäuden ausser den Unter-, Dach- und Attikageschossen zu verstehen seien, könne demnach nur hilfsweise eine Bedeutung zukommen. Zur Ermittlung, was unter dem Begriff «Geschoss» zu verstehen sei, sei somit in erster Linie auf den optischen Eindruck der zu erstellenden Baute abzustellen. Dabei könne hilfsweise auf die im Zeitpunkt der Errichtung der Baubeschränkungsdienstbarkeit gültige örtliche kommunale Bauverordnung abgestellt werden. Die allgemeine Entwicklung des öffentlichen Bau- und Planungsrechts – vorliegend namentlich das öffentliche Interesse an verdichtetem Bauen – würden bestehende Dienstbarkeiten in ihrem Umfang nicht einzuschränken vermögen.

In seiner Schlussfolgerung hielt das Bundesgericht fest, dass das Untergeschoss des in Frage stehenden Bauprojekts vollständig aus dem Hang hervortrete, vollverglast und als Wohngeschoss konzipiert sei. Auf Grund der nach aussen wahrnehmbaren Optik und dem allgemeinen Sprachgebrauch handle es sich dabei daher um ein Geschoss. Gleiches gelte für das Dachgeschoss, welches flächenmässig knapp 70 % des darunter liegenden Hauptgeschosses ausmache und daher ebenfalls optisch als Geschoss wirke. Das geplante Bauprojekt weise daher von der Optik her augenfällig drei Geschosse auf, die im Übrigen alle dem Wohnen dienen würden. Dies liesse sich mit der Baubeschränkung, wie sie aus dem Grundbuch hervorgehe, nicht ansatzweise vereinbaren. Im Ergebnis hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut und verbot A unter Strafandrohung, auf dem Grundstück AA das bewilligte Bauprojekt zu realisieren.