Bundesgericht: Sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts in mietrechtlichen Angelegenheiten

Im gestern veröffentlichten Urteil 4A_263/2023 vom 11. September 2023 (zur Publikation vorgesehen) setzte sich das Bundesgericht mit der sachlichen Zuständigkeit der Handelsgerichte in mietrechtlichen Angelegenheiten auseinander. Das Bundesgericht hatte über die Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeit der Handelsgerichte und der ordentlichen Gerichte in mietrechtlichen Streitigkeiten zu befinden.

Dem bundesgerichtlichen Urteil 4A_263/2023 vom 11. September 2023 gingen eine ganze Reihe von gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den am Verfahren beteiligten Parteien voraus. Uneinig sind sich diese über die Dauer und die Beendigung eines Mietverhältnisses betreffend ein Ladenlokal in Zürich sowie die sich daraus ergebenden finanziellen Folgen (vgl. auch Urteile 4A_653/2018 und 4A_657/2018 vom 14. November 2019). Im Urteil 4A_263/2023 hatte das Bundesgericht nun die Frage der sachlichen Zuständigkeit des Handelsgerichts des Kantons Zürich (Handelsgericht Zürich) zu klären, vor welchem die Vermieterin mit Klage vom 15. September 2021 eine Forderung gegen die Mieterin im Betrag von CHF 44’805’529.00 zzgl. Zinsen rechtshängig machte. Diese Forderung setzt sich zusammen aus dem nach Ansicht der Vermieterin marktüblichen Entgelt für eine im Zeitraum vom 1. Februar 2014 bis 20. Februar 2020 durch die Mieterin genutzte Mietfläche (Ladenlokal).

Zur handelsgerichtlichen Zuständigkeit kann im Allgemeinen gesagt werden, dass die Kantone befugt sind, Fachgebiete zu bezeichnen, für deren Beurteilung ein Handelsgericht als einzige kantonale Instanz zuständig ist (Art. 6 Abs. 1 ZPO). Ein solches Handelsgericht besteht im Kanton Zürich (vgl. auch § 44 GOG ZH, Ordnungsnummer 211.1). In sachlicher Hinsicht ist die Zuständigkeit der Handelsgerichte auf Streitigkeiten beschränkt, welche die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betreffen, falls gegen den Entscheid über die Streitsache eine Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht zulässig ist und die Parteien im schweizerischen Handelsregister oder einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen sind (Art. 6 Abs. 2 ZPO). In mietrechtlichen Angelegenheiten ist als Besonderheit zu beachten, dass die handelsgerichtliche sachliche Zuständigkeit streitwertunabhängig nicht gegeben ist, falls eine Streitigkeit nach Art. 243 Abs. 2 Bst. c) ZPO zu beurteilen ist. Hierunter fallen Streitigkeiten aus einem Mietverhältnis von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht, sofern diese die Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen, den Schutz vor missbräuchlichen Miet- und Pachtzinsen, den Kündigungsschutz oder ein Erstreckungsbegehren zum Streitgegenstand haben. Solche Ansprüche sind in einem vereinfachten und laienfreundlichen Verfahren, in welchem eine soziale Untersuchungsmaxime der Gerichte gilt, zu behandeln (sog. vereinfachtes Verfahren, vgl. Art. 243 ff. ZPO und Art. 247 Abs. 2 Bst. a) ZPO).

Im Urteil 4A_263/2023 prüfte das Bundesgericht nun, ob die Forderung der Vermieterin unter den mietrechtlichen «Kündigungsschutz» nach Art. 243 Abs. 2 Bst. c) ZPO zu subsumieren ist.  Dies hätte die Zuständigkeit des Handelsgerichts Zürich entfallen lassen. Der mietrechtliche Kündigungsschutz im Sinne dieser Bestimmung ist grundsätzlich weit auszulegen. Unter diesen fallen insbesondere auch Streitigkeiten, in welchen sich Fragen des Kündigungsschutzes im engeren Sinne (die Anfechtbarkeit der Kündigung oder die Erstreckung des Mietverhältnisses) nicht stellen (so zum Beispiel ein Ausweisungsverfahren, in welchem die Gültigkeit der Kündigung vorfrageweise zu beurteilen ist, vgl. Urteil 4A_263/2023, E. 2.2).

Einer weiten Auslegung des mietrechtlichen Kündigungsschutzes nach Art. 243 Abs. 2 Bst. c) ZPO folgte auch das Handelsgericht Zürich. Es erachtete sich für die Beurteilung der vermieterseitigen Klage für sachlich unzuständig und trat auf die Klage der Vermieterin nicht ein.  Diese Ansicht des Handelsgerichts Zürich wurde im Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht kritisiert. Das Bundesgericht erläuterte, dass bislang ausnahmslos Fälle unter den Kündigungsschutz im Sinne der vorgenannten Bestimmung subsumiert worden seien, in welchen das Klagebegehren auf die Frage abzielte, ob oder bis wann ein bestehendes Mietverhältnis fortbesteht, beziehungsweise endigt. Vorliegend hatte die Mieterin das Mietobjekt im Zeitpunkt der Einreichung der Klage allerdings bereits verlassen und an die Vermieterin retourniert. Folglich waren einzig finanzielle Ansprüche aus einem beendeten Mietverhältnis zu beurteilen. Bei der Beurteilung von finanziellen Ansprüchen aus einem ehemaligen Mietverhältnis, fehle es «regelmässig an dem für den Bereich des Kündigungsschutzes typischen Machtgefälle zwischen den Vertragsparteien und an der zeitlichen Dringlichkeit der richterlichen Beurteilung, welche die (streitwertunabhängige) Anwendbarkeit des – raschen und laienfreundlichen […] – vereinfachten Verfahrens erforderlich machen». In einem solchen Fall, könne – so das Bundesgericht – kein Fall vorliegen, der in einem mietrechtlichen Kündigungsschutzverfahren nach Art. 243 Abs. 2 Bst. c) ZPO zu behandeln wäre. Mit anderen Worten sind die Handelsgerichte gemäss Bundesgericht für die Beurteilung mietrechtlicher Streitigkeiten zuständig, sofern diese nach Beendigung eines Mietverhältnisses und demnach ausserhalb eines Hinterlegungsverfahrens, eines Verfahrens betreffend Beurteilung von missbräuchlichen Miet- und Pachtzinsen oder eines Kündigungsschutzverfahrens im engeren Sinne (Anfechtung der Kündigung, Erstreckung des Mietverhältnisses) rechtshängig gemacht werden und auch die übrigen Voraussetzungen, welche für die handelsgerichtliche Zuständigkeit generell gegeben sein müssen, vorliegen (vgl. Art. 6 Abs. 2 ZGB und Urteil 4A_263/2023, E. 2.5).

Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Vermieterin gestützt auf das Dargelegte gut, hob das Urteil des Handelsgerichts Zürichs entsprechend auf und wies die Sache  an das Handelsgericht Zürich zurück, womit sich dieses nun erneut mit der Sache auseinandersetzen darf (beziehungsweise muss). 

Nur am Rande und der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle schliesslich noch erwähnt, dass die handelsgerichtliche Zuständigkeit in diesem Bereich befristet sein dürfte. Per 1. Januar 2025 treten die revidierten Bestimmungen der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) in Kraft, mit welchen die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts für sämtliche Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen explizit ausgeschlossen wird (vgl. Ziffer 6 Abs. 2 Bst. d) revZPO).